GUTE ELTERN, SCHLECHTE ELTERN

„Ach, könnt‘ ich nur!“ und „Wie könnt‘ ihr nur!“

Diese zwei Reaktionen fassen ganz gut zusammen, wie sehr sich die Geister bei unserer Reise scheiden. Denn während viele Freunde und Familienmitglieder sofort selbst zusammenpacken und losziehen würden, wenn es die Umstände zuließen oder man die Zeit zurückdrehen könnte, kommen andere aus dem Kopfschütteln nicht heraus und können unserer Reise auch nach Monaten nichts Gutes abgewinnen.

Wir als Familie stehen in der Mitte und manchmal wird uns ganz schwindelig, wenn wir uns beim Gespräch mit der einen Person für unseren Lebensstil rechtfertigen müssen, um dann von der nächsten Person zu hören, dass es das schönste Geschenk an unsere Kinder sei. 

In jedem Fall haben wir beide Aussagen so oder so ähnlich schon gehört und auch wenn es vereinzelte gibt, die sagen „Macht ihr mal, aber für mich wäre das nix!“, bekommen wir nur selten Reaktionen, die irgendwo dazwischen liegen. 

Nun sollte es uns ja nach einem halben Jahr harmonischen Reisens langsam egal sein, was andere denken. Und glücklicherweise ist das positive Lager deutlich größer als das negative. Doch selten geht es bei den Meinungen anderer um unsere berufliche Situation, uns als Paar, uns als Deutsche im Ausland. Worauf sich die meisten Reaktionen – positiv wie negativ – beziehen, ist die Tatsache, dass wir dieses Abenteuer mit unseren Kindern leben. Und da hört man als Mama oder Papa verständlicherweise noch mal genauer hin.

Die einen halten uns für tolle Eltern, weil wir die Zeit in Familie über alles andere stellen.

Die anderen halten uns für schlechte Eltern, weil wir die Zeit in Familie über alles andere stellen.

Also mal grob runtergebrochen. 

Wir haben oft überlegt, ob wir – unabhängig voneinander – schon einmal etwas in unserem Leben getan haben, was derart polarisierte und wir konnten nichts finden. Dann haben wir überlegt, ob es etwas anderes im Leben von uns bekannten Familien gibt, das in deren Umfeld gleichzeitig für helle Begeisterung UND große Empörung sorgte. Und auch da ist uns nichts eingefallen. 

Die Wahrheit ist wahrscheinlich, dass wir mit unserer Entscheidung, alles „aufzugeben“, um mit unseren Kindern und Wohnwagen durch Europa zu reisen, derart vom gängigen Weg abweichen, dass wir mit diesem emotionalen Seiltanz leben müssen. Denn was bei dem einen tiefe Sehnsüchte weckt, löst beim nächsten eben nichts als Unverständnis aus. Werte und Vorstellungen vom Leben sind ja bekanntlich grundverschieden und in unserem Fall hat auch in der Regel kein Nachbar, Kollege oder Verwandter ähnliches gemacht und könnte solide Erfahrungswerte bieten, wie es nach einer solchen Reise weitergeht, was aus den Kindern wurde etc. 

Was uns aber an der Tatsache, dass wir so oft in zwei Lager spalten, am meisten erstaunt, ist, dass in unserem Fall die Kritik viel schneller und selbstverständlicher geäußert wird und wurde als bei anderen. Manchmal kam sie vor, manchmal hinterm Rücken, manchmal sogar direkt an die Kinder (was wir am schlimmsten fanden) und teilweise auch von Menschen, die wir gar nicht kennen, die sich aber trotzdem mal eben zu unseren Plänen äußern wollten. Ich frage mich zum Beispiel bis heute, ob die besorgte mir völlig fremde Mama auf dem Schulhof auf mich zugekommen wäre, wenn wir wegen besser bezahlten Jobs in sagen wir mal München die Region verlassen und darum unserem Sohn einen Schulwechsel und Abschied von seinen Freunden zugemutet hätten. Sehr wahrscheinlich nicht.

Am Ende ist unsere Reise nicht weniger eine familiäre Entscheidung als der beruflich bedingte Umzug, die unvermeidbare Scheidung oder das vierte Kind. In allen Fällen hätten diese Schritte weitreichende Folgen für die gesamte Familie und viele im Umfeld. Trotzdem würden sich die meisten dann sehr wahrscheinlich nicht mit „Sowas macht man nicht.“ oder „Wie könnt‘ ihr nur?“ zu Wort melden.

Wir haben uns als Eltern darum viele Gedanken gemacht, warum unsere Entscheidung manchen Menschen so negativ aufstößt oder ihnen Kopfzerbrechen bereitet. Und am Beispiel anderer Reisefamilien haben wir gesehen, dass wir großes Glück haben, überhaupt so viel Unterstützung und Begeisterung in der eigenen Familie und im Freundeskreis erfahren zu dürfen. Viele haben keinen Kontakt mehr mit ihren Angehörigen und einige wurden regelrecht verstoßen, als sie beschlossen, langfristig als Familie unterwegs zu sein.

Welcher Gedanke uns dabei nicht loslässt, ist, dass doch jede Familie ihr persönliches Glück finden oder bewahren muss – sei es nun im großen Haus, durch die steile Karriere eines Elternteils oder wie wir auf längerer Europareise. Die Tatsache, dass dabei jedoch jene in der Kritik stehen, die mit ihren Kindern auf Reisen gehen und die Verantwortung während dieser Zeit für alle Bereiche übernehmen, während jene gesellschaftlich vorbildlichen Charakter haben, die ihren Nachwuchs aus beruflichen Gründen kaum zu Gesicht bekommen, bereitet uns Bauchschmerzen und beweist doch, dass da einiges nicht zusammenpasst.

Gleichzeitig zeigt die deutlich wachsende Zahl derer, die sich für ein alternatives Lebensmodell entscheiden, dass die Sehnsucht nach qualitativer Zeit in Familie und der Welt jenseits des Büros in unserer Generation immer größer wird.

Leben und leben lassen – das wäre der schönste Lösungsweg. Und das ist auch unser großes Ziel für 2020. Denn irgendwie können wir doch alle am besten mit denen, die unsere Werte und Träume teilen und distanzieren uns oft von jenen, die ganz anders ticken. Wie viele wundervolle Gespräche und Begegnungen hätten wir in diesem Jahr verpasst, wenn wir nur auf Gleichgesinnte gestoßen wären.

Frohe Weihnachten, ihr Lieben❣️

5 Comments
  1. Jean Belles-Baumann 6 Jahren ago

    Liebe Sabine, lieber Micha,

    lasst euch nicht beirren, sondern geht euren Weg, es ist ja kein Way of no return!

    Ich habe eine simple Erklärung dafür, was sowohl eure Bewunderer (wie ich!) und erst Recht eure Kritiker umtreibt:
    es ist der pure Neid auf das, was ihr da gerade macht!

    Die einen haben nicht den Mut, es euch gleichzutun, die anderen können es aus mannigfaltigen Gründen (auch vermeintlichen, vorgeschobenen Gründen) nicht.
    Das ihr mit eurer Reise polarisiert war vorauszusehen, das müsst ihr aushalten, aber das ist es auch wert.

    Dein Bericht liebe Sabine hat für mich Parallelen zu den Reaktionen im Netz, denen Greta Thunberg ausgesetzt ist: die einen wollen ihr den Friedensnobelpreis verleihen, die anderen würden sie am liebsten auf dem Scheiterhaufen brennen sehen.

    Ich könnte noch viel schreiben, aber ich fasse es in einem Satz zusammen:
    Der Hund bellt, die Karawane zieht weiter!!!

    Ich wünsche euch eine entspannte Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr mit neuen Erfahrungen, Erkenntnissen, Begegnungen und Erlebnissen.

    Euer Freund Jean

    • Anonym 6 Jahren ago

      Liebster Jean, danke für deine Worte. Ich glaub nicht, dass unsere größten Kritiker der Neid umtreibt. Eher, dass es so gar nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, weniger zu wollen statt im Laufe des Lebens mehr anzuhäufen – also Dinge, Erfolg, Geld, Führungskraft etc. Aber wie du so schön geschrieben hast – die Karawane zieht weiter, und wir bald auch.;-) Fühl dich umarmt und habt wundervolle Weihnachten.

      • Anonym 6 Jahren ago

        Dann halt beides!!
        Feliz navidad!

  2. Rainer 6 Jahren ago

    Feliz Navidad de Chile🇨🇱🇨🇱

    • micha 6 Jahren ago

      Lieber Rainer,

      Feliz Navidad auch für euch! Liebe Grüße nach Chile. Vielleicht sehen wir uns ja mal irgendwo, wenn ihr wieder zurück seid!

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