DIE LIEBEN SENIOREN

Ich muss mal Folgendes eingestehen: Senioren bzw. Rentner stehen bei uns unter Generalverdacht! Sie sind griesgrämig, humorlos, schimpfen und bremsen durch stete Beschwerde den Bewegungsdrang unserer Kinder.
Könnte man meinen. Tatsächlich müssen wir uns aber bei den lieben Senioren entschuldigen. Denn wahr ist das nicht. Zumindest nicht in dem Umfeld, in dem wir uns seit 3 Monaten bewegen. Auf allen Campingplätzen und auch in der Ferienanlage, in der wir uns aktuell befinden, haben wir eigentlich nur positive Erfahrungen gemacht mit unseren älteren Mitmenschen.
Die Angst, Andere zu stören, sitzt durch die Erfahrungen in unserem bisherigen Leben als Mieter so tief, dass wir immer sofort vermuten, kurz vor einer Verwarnung zu stehen. Und so war es auch ganz oft, als wir früher nicht zur Zufriedenheit der Nachbarn/Vermieter gekehrt haben, die Mülltonne mal falsch herum rausstellten oder unseren Kindern zu viel Freiheit gewährten. Und dann waren es eben sehr häufig ältere Mitmenschen, die uns maßregelten und uns immer wieder zu verstehen gaben, dass wir uns nicht regelkonform verhalten, unsere Kinder nicht richtig im Griff haben etc.
Wir waren in Kroatien sechs Wochen auf ein und dem selben Campingplatz. Da hatten wir jede Menge unterschiedliche Zeltnachbarn, junge Familien, Rentner, Paare etc. Als eines Tages die junge Familie neben uns abreiste, haben wir sofort mit den Augen gerollt, als ein Seniorenpaar auf den Platz nebenan rollte. Die hatten wir schon verurteilt, bevor sie überhaupt „Hallo“ gesagt hatten. Weil die unsere Kinder sicher zu laut, unser Auto nicht sauber genug, unser Vorzeit nicht gerade genug finden würden. Und was soll ich sagen: Die waren so furchtbar nett und herzlich, dass ich mich wirklich sehr schäme für unsere erste Reaktion. Ab dem Moment, wo Sepp und seine Frau da waren, gab’s jeden Abend „Schnäpsle“, Wein und Selbstgebackenes aus der Heimat. Und wir haben in vielen Gesprächen mit den Beiden und auch ihren anderen senioren Freunden sehr viel über uns und unsere Generation gelernt. Zum Beispiel machen Sepp und seine Frau so ziemlich alles selber, bauen ganz viel Essen für sich, ihre Familie und Freunde an etc., während sich unsere Generation (Ausnahmen bestätigen die Regel) sklavisch an die Lebensmittelindustrie bindet, weil wir gar nicht mehr wissen, wie das geht. Das hat uns schon ziemlich zu denken gegeben. Und auch für uns als Familie gilt das. Würden wir auf einer einsamen Insel stranden, wären wir sicher recht schnell am Ende. Weil wir nicht wissen, welche Pflanzen giftig sind, weil wir ohne Feuerzeug kein Feuer machen können, weil wir handwerklich überschaubar begabt sind und unsere Hütte beim ersten Wind bestimmt hinüber wäre. Falls die Einheimischen der Insel jedoch Bedarf an Künstlicher Intelligenz oder Pressearbeit hätten, wären wir schnell integriert. Mmmh.
Also bisher hat kein einziger Senior und keine Seniorin mit uns oder unseren Kindern geschimpft. Im Gegenteil: Es gab sehr, sehr viele schöne Momente für uns und auch für unsere Kinder dank der vielen, lieben Menschen, die wir unterwegs kennengelernt haben. Daher arbeiten wir hart an uns, um den oben beschriebenen Generalverdacht aus unseren Köpfen zu bekommen. Das hat auch den Vorteil, dass wir unsere Kinder nicht mehr bremsen und schimpfen müssen, weil sich vielleicht ein Senior gestört fühlen könnte.
Vom lieben Sepp und seiner Frau Luise haben wir „kernechte“ Pfirsiche aus dem österreichischen Garten bekommen. Ein Kern wartet nun in einer Tupperdose darauf, in unserer neuen Heimat eingepflanzt und von uns gepflegt zu werden. Da freuen wir uns schon sehr drauf.
Und wir freuen uns weiterhin auf und über das fröhliche Miteinander der Generationen. Am wenigsten Konflikte gibt es ja ohnehin, wenn man sich kennenlernt statt sich von vornherein blöd zu finden.