VON FERN- UND HEIMWEH

Seit Micha und ich uns im Sommer 2007 in einer Berliner Straßenbahn kennengelernt haben, ist unser Leben wie bei unserem ersten Aufeinandertreffen: in Bewegung.
Wir sind nach einem Jahr zusammengezogen, haben nach zwei Jahren geheiratet, wurden nach drei Jahren Eltern, sind nach vier Jahren von Berlin nach Darmstadt gezogen, um Micha’s großen Sohn nicht nur in den Ferien, sondern auch am Wochenende sehen zu können, haben mehrmals unsere Arbeitgeber gewechselt, uns schlussendlich selbstständig gemacht und sind nun mit unserem Wohnwagen – dem Symbol eines „bewegten“ Lebens schlechthin – in unserem mittlerweile 5. gemeinsamen Zuhause.
Kein Wunder eigentlich, dass sich Familie und Freunde häufig die Haare gerauft haben, wenn wir mit unseren neuesten Plänen ums Eck kamen. Die Dynamik der letzten Jahre lässt sich beim besten Willen nicht leugnen. Und darum kam auch öfter die Frage auf, wonach wir eigentlich suchen, wann wir zur Ruhe kommen, was das mit unseren Kindern macht und ob wir überhaupt jemals richtig sesshaft werden möchten.
Tatsächlich haben wir in den letzten Monaten häufig über unser Verständnis von Heimat und unsere Rastlosigkeit gesprochen und uns gerade angesichts der vielen Begegnungen mit anderen Reisenden gefragt: Warum verbringen manche Menschen ihr gesamtes Leben an einem Ort und möchten selbst in der Urlaubszeit am liebsten im heimischen Garten sitzen, während andere schon kurz nach dem Umzug wissen, dass auch das nicht die letzte Station gewesen ist?
An Herkunft oder den Genen kann es nicht liegen, denn wir beide haben Geschwister und Eltern, die mit ihrer Heimat sehr eng verbunden sind.
Dass wir uns als Paar in diese Rastlosigkeit reinmanövriert haben, fällt auch raus. Wir haben beide schon vor unserem Kennenlernen unter ständigem Fernweh gelitten und unseren Eltern viel zugemutet. Ob mit 16 für ein Jahr nach Brasilien, zum Arbeiten nach Ghana, Sri Lanka oder Australien – ständig musste uns irgendjemand verabschieden, vom Flughafen abholen oder Verständnis aufbringen, wenn wir nach mehrmonatigen Auslandsaufenthalten nicht immer fröhlich von den Erlebnissen berichteten, sondern auch mal ordentlich neben der Spur waren.
Und dass wir dieses Fernweh einfach cool finden und uns diese Einstellung herbeisehnen, können wir zutiefst verneinen. Mehr als einmal haben wir uns von ganzem Herzen gewünscht, dieses Gefühl ausschalten und uns mit Haut und Haaren auf das Hier und Jetzt einlassen zu können. Denn schließlich sind wir schon lange keine Studenten oder Singles mehr, sondern selbst Eltern, die sich – wie alle anderen Eltern auch – nur das Beste für ihre Kinder wünschen. Und auch wenn wir überzeugt sind, dass unsere Beiden derzeit sehr stark von der exklusiven Zeit mit uns und den Abenteuern unterwegs profitieren, hätten wir ihnen gern den Abschied von Freunden erspart. Denn wir wissen sehr wohl, dass Stabilität und eine vertraute Umgebung wichtige Faktoren im Leben von Kindern sind. Wir wissen aber auch beide zu gut, dass unglückliche Eltern keine Basis für eine zufriedene Familie sind.
Wir haben die immerhin letzten sieben Jahre zugunsten unserer kleinen Patchworkfamilie an einem Ort gelebt, der sich auch nach drei Umzügen innerhalb der Region einfach nicht richtig anfühlen wollte, dafür aber die regelmäßige gemeinsame Zeit mit allen drei Geschwistern zuließ. Das war genau richtig und wir sind froh, diesen Schritt gewagt zu haben. Wir waren sogar kurz davor, ein Haus in dieser Region zu kaufen. Vielleicht – so war die Theorie – hätte ja Eigentum dafür gesorgt, dass sich in unserer Wahlheimat ein Gefühl der Erdung einstellt. Denn so schnell packt man ja nicht wieder zusammen, wenn man eine halbe Million für die eigenen vier Wände hinlegt.
Doch zum Glück haben wir noch rechtzeitig eingesehen, dass der Plan mit dem Haus wahrscheinlich nicht aufgehen und sich Darmstadt auch nach Jahren des „Schräubchen-Drehens“ und wirklich toller Rahmenbedingungen wohl nie wie Zuhause anfühlen wird.
Mittlerweile sind wir überzeugt, dass es mit Orten nämlich wie mit Menschen ist. Bei manchen geht einem sofort das Herz auf und man hat das Gefühl, sich schon ewig zu kennen. Andere sind auch total nett, aber trotzdem braucht man nicht unbedingt ein Wiedersehen oder würde zum Beispiel nie zusammen Urlaub machen. Nun kann man sich – um mal beim Vergleich Mensch zu bleiben – arrangieren und sein Leben mit „jemandem“ verbringen, der vielleicht anderen den Kopf verdreht, aber einen selber nicht richtig glücklich macht. Oder man geht und glaubt fest daran, dass die richtige Person da draußen wartet. So ein bisschen geht uns das mit dieser Reise. Mit jeder Station wird die Vorstellung von unserem „Herzens-Ort“ klarer.
Seit unserem Start vor vier Monaten haben wir zahlreiche Menschen getroffen, die allein, als Paar oder auch in Familie auf Reisen sind – manche seit wenigen Wochen oder Monaten wie wir, andere schon seit vielen Jahren. Tolle Geschichten haben wir schon gehört und die Beweggründe für die jeweiligen Reisen waren so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Aber ganz oft stand vor allem das „unterwegs sein“ und Entdecken im Vordergrund.
Und wir haben jene getroffen, die eigentlich nur im Urlaub waren, uns aber mit leuchtenden Augen von Ihrer „Heimat“ erzählten. Natürlich waren da einige dabei, die schon ihr ganzes Leben an diesem einen Ort leben und nie woanders sein wollten. (Und ich freue mich für alle, die diese Erfahrung machen durften. Oft haben wir uns gewünscht, dass es uns auch so gegangen wäre.) Aber wir haben auch die getroffen, denen es wie uns ging. Wirklich tiefe Heimatgefühle hatten sie nie, also sind diese Menschen losgezogen, um einen Ort zu suchen, der sich so richtig richtig anfühlt. Und sie sind fündig geworden.
Wir zwei Großen sind uns Gottseidank einig, dass uns die Begegnungen mit den „Angekommenen“ weit mehr berühren als die Vorstellung, dauerhaft unterwegs zu sein – auch wenn der Begriff „Heimat“ doch am Ende von jedem anders interpretiert wird. Heimat kann dort sein, wo die engsten Menschen sind, wo man den größten Teil seines Lebens verbracht hat, wo man geboren wurde oder vielleicht auch da, wo man nur einmal war, sich aber sofort zuhause fühlte. Auf jeden Fall fühlt sich die Vorstellung von „Heimat“ toll an und wir wissen jetzt schon, dass es bei dieser Reise viel weniger ums Reisen als ums Ankommen geht.
Wie heißt es so schön? „Desto weiter ich reise, desto näher komme ich an mich heran.“ ?